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Auswirkungen des strengen Artenschutzes auf die betriebliche Praxis von Rohstoffgewinnungs-betrieben – und darüber hinaus

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Auswirkungen des strengen Artenschutzes auf die betriebliche Praxis von Rohstoffgewinnungs-betrieben – und darüber hinaus

Ein Namensbeitrag von Dipl.-Geol. Pascal Bunk, Rohstoffsicherung und Umwelt, Knauf Gips KG 
Mai 2016

Steinbrüche, Sand-, Kiesgruben und andere Rohstoffgewinnungsstätten, ob aktiv oder stillgelegt, stellen oftmals bedeutende Sekundärbiotope und Refugien für bedrohte Pflanzen- und Tiere dar. Sie fungieren als Trittsteine in einer ansonsten intensiv genutzten Landschaft und können als Teil eines Biotopverbundes helfen, isolierte Reste unserer Natur miteinander zu vernetzen. Diese Tatsache ist in Fachkreisen unumstritten und wird mittlerweile auch in Kreisen der Politik zur Kenntnis genommen sowie teilweise auch anerkannt. 

So wird im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) die Bedeutung von Steinbrüchen (im Folgenden wird verkürzt auf Steinbrüche Bezug genommen, Gleiches gilt aber auch für andere Flächen zur Gewinnung von Bodenschätzen) dadurch honoriert, dass in §1 Absatz 5 Satz 4 die Förderung der natürlichen Sukzession in Steinbrüchen als besonders erstrebenswert benannt wird und § 30 Absatz 6 eine zeitlich befristete Ausnahme vom Biotopschutz für Steinbrüche vorsieht. Manche Bundesländer gehen dabei noch weiter. In Bayern etwa wird die besagte Sukzession im Steinbruch noch während des Abbaus als Kompensation anerkannt, und in Baden-Württemberg gilt die zeitliche Befreiung vom Biotopschutz ungleich länger. Grundlage ist das sogenannte Wanderbiotop-Konzept: Solange der Eingriff besteht, soll sich Natur entwickeln dürfen, ohne den Betriebsablauf einzuschränken, denn ohne Steinbrüche gäbe es diese speziellen Freiräume für Natur erst gar nicht – ein kooperatives Modell zwischen Naturschutz und Wirtschaft, welches bisher gut funktioniert hat und von Behörden, Verbänden und Firmen gleichermaßen gelobt wird.

Umso enttäuschender sind aus dieser Perspektive neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung in Bezug auf den besonderen Artenschutz. Die deutsche Umsetzung dieser EU-Vorgabe stellt alle Beteiligten vor immer größer werdende Probleme, denn die aktuelle Auslegung des § 44 BNatSchG hebelt sämtliche oben genannten praktikablen Regelungen faktisch aus.  

Worum geht es konkret? Entstehen ungenutzte Bereiche in Steinbrüchen, bildet sich initiale Vegetation, entstehen kleinere Tümpel, so sind diese Refugien natürlich auch attraktiv für seltene und oft besonders geschützte Arten. Diese siedeln sich meist recht zügig an. Die entstehenden Biotope sind nun aber nicht mehr nur nach § 30 (Gesetzlich geschützte Biotope), sondern auch nach § 44 als Standort (bei Pflanzen) und Ruhe- und Fortpflanzungsstätte (bei Tieren) geschützt. Das zugrundeliegende EU-Recht kennt keine Ausnahme oder zeitliche Befreiung. Er gilt unmittelbar und allumfassend, ohne Recht auf Abweichung im ganzen Bundesgebiet. Die deutsche Auslegung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) schützt dabei aber nicht nur jeden Lebensraum der besonders geschützten Arten, sondern jedes Individuum. Wegen des Tötungsverbots kann das Überfahren einer einzigen Zauneidechse so zu einem veritablen Betriebsrisiko werden.

Ein Betriebsleiter, der in seinem Steinbruch Bereiche ungenutzt lässt und Wildnis entstehen lässt, bringt seinen Betrieb in ernsthafte Gefahr. Siedeln sich z. B. Kreuzkröten in einer ungesehenen Ecke des Steinbruchs an und LKW-Fahrer überfahren ab und an ein Tier, können Einzelpersonen und Umweltverbände aus den verschiedensten Motiven heraus einen Betriebsstillstand erzwingen. Fällt die neue Heimstätte der Kreuzkröte gar der Rohstoffgewinnung zum Opfer, droht ein Entzug der Abbaugenehmigung und bei grober Fahrlässigkeit sogar eine Haftstrafe (§71 Abs. 4 BNatSchG).

Unkenntnis schützt auch hier nicht vor Strafe, und dass der Steinbruch ursächlich für die Biotopentwicklung war, ebenso wenig. Wer korrekt handelt und das Biotop der Behörde meldet, wird meist mit einer kostspieligen CEF-Maßnahme (continuous ecological functionality-measures) konfrontiert. Das bedeutet: die Neuanlage des Biotops an einem anderen Ort und Umsiedlung der Individuen mit anschließendem Monitoring des Annahmeerfolgs. Mit viel Aufwand können so oftmals Probleme mit der Ansiedlung geschützter Arten gelöst werden, doch leider nicht immer. In jedem Fall bedeutet § 44 unkalkulierbare Mehrkosten und ein Rechtsrisiko, mithin etwas, das mit § 30 Absatz 6 eigentlich verhindert werden sollte. Im unerfreulichen Ergebnis sind die wenigsten Betriebsleiter willens oder in der Lage, solche Risiken einzugehen. Viele sind bereits „gebrannte Kinder“. Sie werden das Entstehen von „Wildnis“ in ihrem Bruch zu verhindern wissen und kommunizieren dies auch ihren Kollegen.

Natur auf Zeit – eine Lösung?

Zur Lösung der beschriebenen Problematik ist „Natur auf Zeit“ eine oft erwähnte Idee und wird derzeit wieder intensiver diskutiert. Diese aus der Bauleitplanung stammende Überlegung ist allerdings nicht neu, und in gewisser Weise ist die Ausnahmeregelung des § 30 Absatz 6 bereits eine Umsetzung dieses Ansatzes für die Rohstoffgewinnungsbranche.

Kommunen und Besitzer von Brachen aller Art haben ein verständliches Interesse an einer ähnlichen Befreiung vom Biotopschutz. Entwickelt sich z. B. auf einer ehemaligen Industriefläche ein Schwermetallrasen, so ist dieser durch § 30 Absatz 2 streng geschützt. Eine Sanierung und Wiederinbetriebnahme ist nur durch einen gleichartigen Ersatz möglich. Allein die Vorstellung, andernorts absichtlich einen Schwermetallrasen anlegen zu müssen, zeigt die Problematik. Gleiches gilt auch für neu ausgewiesene Baugebiete: Sollte sich hier in der Zwischenzeit ein Trockenrasen entwickeln, müsste die Kommune bei einer Beseitigung zusätzlichen Ausgleich schaffen. Bürgermeister, die ein Neubaugebiet ausweisen wollen, oder Besitzer einer Brache, die irgendwann wieder genutzt werden soll, haben also ein sehr großes Interesse daran, die Entwicklung solcher Biotope zu verhindern. Aus diesem Grund werden vielerorts in Deutschland Brachflächen sinnlos bewirtschaftet, Geld verbrannt und Natur verhindert.

§ 4 Abs. 2 Punkt 1 des Landschaftsschutzgesetzes in NRW stellt eine Umsetzung der Idee von „Natur auf Zeit“ dar. Das Land hat von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und als Ergänzung zum § 14 Absatz 2 des BNatSchG auch bauliche und verkehrstechnische Maßnahmen auf ehemals bereits genutzten Flächen vom Biotopschutz befreit. Die Zulässigkeit dieser Regelung ist umstritten. Der Artenschutz des § 44 bleibt als Umsetzung der FFH-Richtlinie davon sowieso unberührt. Sämtliche gut gemeinten gesetzlichen Regelungen auf Landesebene finden ihr Ende bei einer Ansiedlung besonders geschützter Arten, denn hier haben die Länder keine Abweichungskompetenz. Auch in NRW werden daher weiterhin Baufelder, Konversionsflächen und Industriebrachen von Sukzession „freigehalten“.

Der Gedanke einer „Natur auf Zeit“ müsste – sollte er spürbare Verbesserungen erwirken – auch auf den Artenschutz ausgedehnt werden. Für eine gewisse Zeit könnte sich Natur entwickeln und sich seltene Arten ansiedeln. Populationen könnten diese temporären Rückzugsorte nutzen, um sich zu regenerieren und neue Habitate zu besiedeln. Dass diese Lebensräume irgendwann wieder verschwinden, ist meist ein tolerables „Übel“: Erstens, da in der Zwischenzeit sicherlich andere Brachen entstehen. Zweitens, da es sich bei den geschützten Arten, die sich auf solchen Flächen ansiedeln, eben um Pionierarten handelt, also Formen des Lebens, die sich gerade auf diesen Aspekt des Temporären spezialisiert haben. Und drittens, weil jedes „Mehr“ zählt und wir uns den Luxus einer „Parklandschaft unter der Käseglocke“ angesichts massiv rückläufiger Arten- und Individuenzahlen nicht mehr leisten können.

Es ist leider weiterhin unklar, wie solch eine Regelung aussehen könnte. Das Bundesumweltministerium lehnt eine Änderung der FFH-RL im Rahmen des sog. REFIT-Prozesses der EU ab, eine Änderung des BNatSchG zurzeit ebenso. Damit bleibt nur die Möglichkeit untergesetzlicher Regelungen. So sind z. B. öffentlich-rechtliche Verträge denkbar, die über den Umweg des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, 4 und 5, sowie § 67 Abs. 2 Satz 1 des BNatSchG Ausnahmegenehmigungen und Befreiungen in Aussicht stellen. Hier könnten die Niederlande ein Vorbild sein („Tijdelijke natuur, permanente winst“), wo solche untergesetzlichen Regelungen Anwendung finden. Ob solche Lösungen einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) standhalten würden, ist allerdings bisher nicht „getestet“ worden.

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